Kleine Lüttringhauser Kirchengeschichte

Geschichte

„Aus der Geschichte von Kirchspiel und Gemeinde vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ von Karl Wilhelm Heuser (1985).

Der folgende Text stammt aus der Festschrift:

Evangelische Kirche Lüttringhausen 1735 – 1985. Zur Wiederherstellung des Gotteshauses vor 250 Jahren. Aus der Geschichte von Kirchspiel und Gemeinde vom Mittelalter bis zur Gegenwart von Karl Wilhelm Heuser, Remscheid 1985.

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Kirche über Hof und Dorf
  2. Im Dämmerlicht des Mittelalters
  3. Als die neue Lehre sich durchsetzte
  4. Gemeinde im bergischen Luthertum
  5. Ein neues Haus zur Ehre Gottes
  6. In bergischer Spätzeit
  7. Der König und seine Landeskirche
  8. Wege in die Gegenwart

Die Kirche über Hof und Dorf

Es fällt nicht schwer, die historische Mitte Lüttringhausens zu bezeichnen. Nicht auf dem höchsten Punkt, wie die Bauten der Neuzeit, sondern in charakteristischer, wasserabwärts geöffneter Muldenlage, dazu erhöht über der Altsiedlung des Dorfes und vergangener Höfe, zeigt die evangelische Kirche mit schlankem Turm und geschweifter Haube diese Mitte an.

Zweieinhalb Jahrhunderte sind vergangen, seit dieses Gotteshaus in damals neuen architektonischen Formen, dabei in alter West-Ost-Ausrichtung entstand, somit daran erinnernd, daß schon etliche hundert Jahre lang an dieser Stelle eine Kirche gelegen war.

Glockenklang, Gebet und Totengedenken haben die Zeiten miteinander verbunden. Wo jeweils das Vergessen die Generationen ergriff und überrollte, blieb die Unübersehbarkeit des Gotteshauses, dessen steinerne Wirklichkeit sich stets von dem Lehm- und Fachwerkgefüge der bäuerlich-bürgerlichen Wohnstätten abhob.

Man schrieb den Jakobitag des Jahres 1733, dies war der 25. Juli, als ein verheerender Großbrand die Kirchspielmitte heimsuchte. An diesem Tage fand das von der Geistlichkeit schon lange nicht mehr gerne gesehene Vogelschießen statt. In einem Winkel brach das verzehrende Feuer aus, sprang dann auf die Nachbarhäuser über, bis daß das ganze Dorf in Flammen stand und auch die Kirche in kurzer Zeit ein rauchender Trümmerhaufen war.

Die Ruinen des Gotteshauses zeigten damals an, daß der mittelalterliche Bau an der Süd- und Nordseite eine Erweiterung erfahren hatte. Wir wissen, daß 1612 und noch 1711 die Kirche vergrößert worden war, weil sie für die Seelenzahl des großen Kirchspiels nicht mehr ausreichte, schon lange nicht mehr genügend Platz bot. Nun aber, nach der großen Feuersbrunst, war man sofort bereit, die eigenen Häuser, letztlich ein ganzes Dorf wieder aufzubauen, ein neues Gotteshaus zu errichten.

Gewiß dachten die Brandgeschädigten an die nächste Nachbarschaft, in der die Remscheider zehn Jahre zuvor eine solche Katastrophe erlebt, bald darauf Kirche und Dorf wieder aufgebaut hatten. Damals, im Herbst 1723, waren Verwandte und Bekannte, Angehörige der lutherischen Konfession wie hier, als Obdachlose aufgenommen worden. Nun mußte man selber Hilfe in Anspruch nehmen.

Es wurde die Erlaubnis zur Kollektierung im Lande, vorab bei den eigenen ,,Konfessionsverwandten“ in den beiden lutherischen Inspektoratsbereichen Ober- und Niederberg, erteilt. Gottlob zählten die Lüttringhauser nicht zu den ärmsten Gemeinden ihrer Landeskirche im Herzogtum Berg, so daß an den baldigen Wiederaufbau gedacht werden konnte.

Ein neues Gotteshaus entstand über den Grundmauern der abgetragenen Ruine. Im Frühjahr des Jahres 1734 begannen die Baumaßnahmen. Bereits ein gutes Jahr später, etwa zum Herbst 1735, konnte der Schlußstein für den Außenbau gesetzt werden. Ein weiteres Jahr verging, bis man um die Weihnachtszeit des Jahres 1736 mit allen Innenarbeiten nahezu fertig war. Schließlich versammelte sich die Gemeinde am 27. Januar 1737 zur feierlichen Einweihung des bisher nur provisorisch genutzten Kirchenbaues. Nur noch die bei Johannes Streffing zu Datteln bestellte Orgel fehlte im vielleicht schon vorhandenen Gehäuse.

Wir erinnern uns, daß Lüttringhausen vor zweieinhalb Jahrhunderten, 1735, wieder eine Kirche im Dorf besaß.

Im Dämmerlicht des Mittelalters

Auch Lüttringhausens mittelalterliche Anfänge sind weithin ungeklärt. Je tiefer wir in die Vergangenheit hinunterblicken, desto verschwommener wird das historische Bild. Die schriftlichen Quellen werden dürftiger und dürftiger, versiegen schließlich. Erkenntnisse aus Archivalien oder hilfswissenschaftlichen Disziplinen gewinnen wir zumeist auf großen Umwegen. Es verwundert nicht, daß manche in die Ortsgeschichtsschreibung eingeflossene Ansicht von der heutigen Forschung bezweifelt, eine Neuinterpretation notwendig wird. –

Lüttringhausen wird zu der Inghausen-Ortsnamengruppe gezählt, deren Deutung auf einen siedlungshistorischen Vorgang aus sächsisch-westfälischer Richtung verweist. Eine Terminierung ist teilweise bis in die präkarolingische Zeit gewagt worden, obwohl es hierfür keine Belege gibt, so daß man das 9. und 10. Jahrhundert als realistischer einschätzen sollte, insofern die Elemente einer solchen Ortsnamenforschung als Bewertung tragbar bleiben.

Um 1150 findet sich der Name Luthelminchusen“. Von hier bezog das Benediktinerkloster Werden an der Ruhr 8 Denare jährlich an Zins-Einkünften. Nicht sicher ist bei dieser Nennung, ob es sich dabei tatsächlich um unser Lüttringhausen handelt, wenngleich spätere Schreibungen, so in dem erzbischöflichen Abgabenverzeichnis des Liber Valoris (um 1300/08) mit Lutilminchusen“ und 1312 im Gerresheimer Wachszinsigen-Verzeichnis mit Luthelminchusen“, sich als Bestätigungen anbieten. Einem Personennamen (Luthelm, Lutilman o. ä.) und nicht – wie nach älterer Ansicht – einem Sippennamen wird der ursprüngliche Einzelhof möglicherweise zuzuschreiben sein.

An solche Überlegungen ist spekulativ auch der kirchliche Beginn anzugliedern. Zuvor aber sollte angemerkt werden, daß Lüttringhausens historischer Auftakt mit einem dortigen Fron- oder Herrenhof und zugehöriger Eigenkirche nicht so ohne weiteres offensichtlich ist, wie man bisher annahm. Die spätere Grundherrschaft der bergischen Dienstmannen des ritterlichen Geschlechts von dem Bottlenberg knüpfte aber wohl doch an Reste alter Herrschafts-Verhältnisse an, wozu Besitzungen der Abtei Werden einschließlich der ihr zugeflossenen Stiftungen, endlich ein nicht erfaßbarer, angenommener Fronhofsbereich von unbekannter Herkunft, Ausdehnung und Zuordnung gedanklich gerechnet werden müssen.

In Remscheid ist ein solcher Fronhof urkundlich, seine zugehörige Eigenkirche sogar in einer archäologischen Grabung bis in eine vorbergische Zeit ermittelt worden. Lüttringhausens Anfänge einschließlich der Lenneper Bezüge bleiben in einem tiefen Dunkel, weil z. B. für die dortigen Kirchenstätten die ersterrichteten Vorgängerbauten unbekannt sind. Die Anfänge Lüttringhausens als Pfarrei, somit auch die Ansätze für das Vorhandensein eines entsprechenden Gotteshauses, rangieren, nach allem, was wir erkennen können, vor Lennep. Ob die gottesdienstliche Stätte dabei als Kapelle eines untergegangenen Fronhofes oder als Kapelle in einem anderen Herrschaftsbereich für die Erstzeit anzusehen ist, bleibt der Forschung als eine schwere Aufgabe überlassen.

Die Historiker suchen noch die Urpfarreien im rechtsrheinischen Gebiet, also jene Parochien, die in der Missionszeit und ersten kirchlichen Organisationsphase entstanden. In der Folgezeit kam es zur Aufteilung dieser Sprengel. Es entstanden die Stammpfarreien. Offenbar war für das Wupperviereck Wermelskirchen die zuständige Pfarrei. In einer weiteren Aufgliederungsphase scheint Lüttringhausen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Pfarrei geworden zu sein. Zu dieser Zeit hatten sich die Grafen von Berg des Gebietes bemächtigt. Sie bauten ihre Landesherrschaft aus. Remscheids sehr alte Fronhofskirche, die nach Eigenkirchenrecht an den Johanniterorden kam und durch einen basilikalen Neubau ersetzt wurde, konnte bis zum Ende des zweiten Drittels des 13. Jahrhunderts Pfarrkirche mit einem festumrissenen Sprengel im Zehntbereich des alten Fronhofes werden. Lennep, im 13. Jahrhundert Stadt geworden, wuchs kirchlich aus dem Lüttringhauser Altsprengel heraus, benötigte offenbar aber länger zur Pfarreiwerdung, als man bisher angenommen hat.

Im bereits genannten Liber Valoris (um 1300/08) findet sich Lüttringhausens Name innerhalb der vermutlich alten Visitationsroute der Kirchenoberen im erzbischöflich-kölnischen Dekanat Deutz, die aus älteren Auflistungen übernommen worden war, zwischen den Namen der Pfarrorte Leichlingen und Solingen einerseits, Wermelskirchen und Wipperfürth andererseits. Lennep und Hückeswagen, die zwischen den Pfarrorten Lüttringhausen, Wermelskirchen und Wipperfürth eingeschoben sind, werden für die Zeit um 1300 ausdrücklich noch als Kapellen erwähnt. Remscheids Name findet sich als Pfarrstätte im Nachtrag dieser wichtigen Aufstellung, also außerhalb einer ursprünglichen Visitationsroute. Damit ist seine Pfarreiwerdung aus der Sicht von 1300 als verhältnismäßig junger Vorgang im vorgenannten Sinne ausgewiesen.

Lüttringhausens Abgaben an den Erzbischof sind im Liber Valoris mit durchschnittlichen Werten angegeben. Die geschätzten Einkünfte (taxus) werden mit 8 marca (Mark) angesetzt. Der davon errechnete Zehnt (decima) ist mit 9 solidus (Schillinge) und 6 denarii (Denare) verzeichnet.

Es ist erlaubt, die Entstehung einer Pfarrkirche zu Lüttringhausen mit den kirchenrechtlichen Abläufen in Zusammenhang zu bringen. Man denke an Veränderungen im Dekanat Deutz und anderswo, die den neuen politischen Gegebenheiten in den sich damals verwandelnden Herrschaftsräumen Rechnung trugen. Vergleichende Wertungen und die Ermittlungen in der Nachbarschaft, so zu Remscheid, stehen gedanklich im Hintergrund. Eine spätromanische Landkirche mit Westturm wurde Mittelpunkt eines Kirchspiels. Als Zeitstellung kommt das ausgehende 12. und die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts in Frage. Aus den anfangs geäußerten Überlegungen heraus bleibt die offene Frage, ob dieses Gotteshaus die Überbauung einer vorherigen Kirchenstätte gewesen ist.

Zu den aufschlußreichen Schriftzeugnissen des Mittelalters für den hiesigen Raum zählt ein Verzeichnis des hochadeligen Damenstifts Gerresheim aus dem Jahre 1312. Es nennt solche Leute, die in einem Abhängigkeits- und Schutzverhältnis zum Altar des heiligen Hippolyth zu Gerresheim standen. Sie hatten einen Altarzins zu zahlen, der meist eine jährliche Wachsabgabe für die Herstellung kostbarer Altarkerzen war. Daher findet sich für diese Personenkreise auch die Bezeichnung „Wachszinsige“.

Viele Kirchen besaßen solche Wachszinspflichtige, die oft aus dem Hörigkeits-Verhältnis entlassen worden waren, sich nun in den Schutz eines Heiligen und seiner Kultstätte in milder Leibeigenschaft begeben hatten. Nicht selten unternahmen auch Personen nichthörigen Standes solche Schritte, weil sie um des Seelenheiles willen eine besondere Altarverbindung wünschten. Besondere Regeln galten für die Aufrechterhaltung, Vererbung und Löschung der Wachszinsigkeit.

Der volle Wortlaut der Lüttringhausen betreffenden Gerresheimer Eintragung lautet:

„duodecimo — Primo Luthelminchusen. Hyldebrandus de Heyde cum suis pueris. Deyle de Varen(tra…) suis — — Uxor Godescalci de Hugenbeke cum suis. Item Johannes de Luthelminchusen. Item Meddele uxor campanaril cum suis. Item.. pueri Gobelini de Bucsberge. Item omnes qui vocantur Syluerentacken. Item Margareta de Herpeslo cum suis — et Volmarus fillus suus“

Wir finden also einen Hildebrand vom Heidt mit seinem Knaben, einem Theil (Thiel, Tilgen), der möglicherweise zum Farrenbracken wohnte, die Frau des Gottschalks in der Huckenbeck mit ihren Angehörigen, einen Johann von Lüttringhausen, dann die Frau des Glöckners, Mettel mit Namen, ebenfalls mit Angehörigen. Genannt werden ferner die Knaben des Gobelinus von Bocksberg, eine Margaretha von Erbsloe mit den Ihrigen und dem Sohn Volmar. Ferner werden ,,Sylverentacken“ erwähnt, was bisher ungeklärt blieb. Verwiesen sei zudem darauf, daß die genannten Namen keineswegs auf spätere Familiennamen schließen lassen, da solche sich erst im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert durchsetzten.

Wichtig erscheint uns außerdem, daß ein Glöckner genannt wird, der auf einen entsprechenden Dienst an der Pfarrkirche, an das Vorhandensein von Glocken in einem Turm schließen läßt. Interessanterweise gibt es zum gleichen Zeitpunkt eine Glöcknerin in Remscheid, die dasselbe Gerresheimer Verzeichnis nennt.

Hinsichtlich einer Wachsabgabe sei noch darauf hingewiesen, daß im Jahre 1502 die Lüttringhauser Kirchmeister in einem Gerichtsverfahren den Nachweis brachten, daß ihre Kirche ,,seit Menschengedenken“ eine Jahresrente von 5/4 Pfund aus den Scharpenacker Gütern bezog.

War die Zugehörigkeit der Pfarrei Lüttringhausen zum Dekanat Deutz ausgewiesen, so wurde 1363 die weltliche Zuordnung des Kirchspiels zum Amt Bornefeld angezeigt. Damit waren auch die Landgerichtsverhältnisse angesprochen. Im frühen 15. Jahrhundert aber hat Lüttringhausen einen Wechsel vorgenommen. Ab etwa 1407 gelangte es an das Amt Beyenburg, in dem auch Radevormwald gelegen war.

Eine erste Minderung des Sprengels Lüttringhausen war die Loslösung Lenneps, für das sich eine eigene Pfarrei bildete. Der größte Teil der Lenneper Außenbürgerschaft, also Bürger dieser Stadt, die auf Gütern und Höfen außerhalb des städtischen Weichbildes wohnten, blieb in Bindung an die Lüttringhauser Kirche.

Das Kirchspiel in seiner Gesamtheit als Gerichtsbereich und Pfarrei bestand aus fünf Einheiten: dem Kirchdorf und den Honschaften (Hofschaften?) Garschagen, Hohenhagen, Erbsloe und Wallbrecken. Gegen Cronenberg grenzte sich dieses Kirchspiel durch
den Gelpe- und Marper Bach ab. Die Wupper war Grenzgewässer gegen das bergische Radevormwald und gegen die in der Grafschaft Mark gelegene Pfarrei Schwelm. Der Müggenbach bildete die Grenze gegen das Kirchspiel Remscheid.

In jenen spätmittelalterlichen Tagen, in denen 1365 ein Johann mit der Bezeichnung ,,Kerckher zo Lutterkußen“ als Pastor genannt wird, gab es noch Besitzungen im Kirchspiel, die auf älteste Verhältnisse schließen lassen. Zu ihnen zählten drei kurmedige Güter zu Mesenholl, die dem Kölner Stift St. Gereon gehörten. Für die dortigen Hintersassen äußerte sich die Belehnungs-Abhängigkeit in einer ,,Sterbfall-Abgabe“ an das Stift, also bei jedesmaligem Inhaberwechsel. Die Abgaben flossen damals nach Richrath, wo St. Gereon 1336 eine neue Hebestelle des stiftseigenen Oberhofes Monheim eingerichtet hatte. Diese und andere Abhängigkeitsverhältnisse gingen im Laufe der Zeit unter.

Zu den wichtigsten Merkmalen des kirchlichen Lebens in der Vergangenheit zählen die geistliche und die weltliche Schutzbindung des Gotteshauses und seiner Altäre. Gemeint sind Patrozinium und Patronat.

Als Schutz- und Titularheiliger der Pfarrkirche zu Lüttringhausen ist der hl. Johannes der Täufer bezeichnet worden. Deshalb aber das Gotteshaus als eine Taufkirche aus ältester Zeit, gar aus den Tagen der Christianisierung zu bezeichnen, ist ohne Nachweis und aus vorgenannten Gründen nicht erlaubt. Allerdings kann das Patrozinium des Johannis Baptista ein Hinweis darauf sein, daß aus einer Hofkapelle eine Pfarrkirche wurde bzw. daß das Taufsakrament hier im Gegensatz zu den anderen Kapellen im Umkreis gespendet wurde.

Aus späteren Nennungen ist zu schließen, daß der Hauptaltar des Gotteshauses dem Titularheiligen geweiht war, während zwei Nebenaltäre das Patrozinium Unserer Lieben Frau und des Heiligen Kreuzes besaßen. Zu diesen Altären hielten sich gleichnamige Bruderschaften. Solche Vereinigungen spiegeln wesentliche Äußerungen des damaligen religiösen Lebens in nachfolgende Zeiten zurück. Sie gab es vielerortens, wobei hier nur die Jakobus-Bruderschaft zu Lennep oder die Annen-Bruderschaft zu Remscheid Erwähnung finden sollen.

Wie bereits angedeutet, lag die Lenneper Kirche als ursprüngliche Kapellenstätte im Bereich der Lüttringhauser Pfarrei, bis ihre Verselbständigung erfolgte. Zugeordnet war ferner die Kapelle des alten Hofes Steinhaus. Hierher rief der Landesherr, Graf Adolf V., den Orden der Kreuzherren. Zwei Jahre nach seinem Tode schufen diese sich 1298 ihr erstes Kloster an der alten Straße Köln-Hellweg, das aber bald auf den von der Wupper umflossenen Bergsporn Beyenburg verlegt wurde. Hier existierte eine Burganlage, die sich in der Folgezeit zur Amtsverwaltung und Kellnerei (Rendantur) einrichten ließ.

Die den Kreuzherren überlassene Kapelle war der hl. Maria Magdalena geweiht. Bis weit über die Reformationszeit hinaus war sie an die Lüttringhauser Pfarrkirche gebunden. Diese Bindung war einem Rektoratsverhältnis ähnlich.

Jene Grund- und Lehnsherrschaft Lüttringhausen der Herren von dem Bottlenberg-Kessel, die bis ins erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts galt, war mittelalterlichen Ursprunges. Verbunden war mit ihr das Patronat über die Pfarrkirche, wozu wichtige Rechte wie die Präsentation und Kollation, also Vorschlags- und Ernennungsrecht für Pfarrer und Hilfsgeistliche, gehörten. Jene Herren von dem Bottlenberg, die mit ihrem Wappen, dem Wechselzinnenbalken, sich als ritterliche Dienstmannen des altbergischen Grafenhauses ausweisen, sind seit dem 13. Jahrhundert als Lehnsherren einer Herrschaft nachweisbar, deren Kern das Kirchdorf selber war. Ihre Herrschaft scheint auf einer bergischen Belehnung, möglicherweise nach 1225 in limburgischer Zeit, gegründet zu sein. Die vermutlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nach einer älteren Vorlage niedergeschriebene sogenannte Hackhauser Lehnrolle“, benannt nach einem Hauptbesitz der Bottlenberger bei dem heutigen Solingen-Ohligs, regelte für lange Generationen Rechte und Pflichten der „Vasallen“. Höfe, die zur Herrschaft in einem mehr oder weniger deutlichen Abhängigkeitsverhältnis standen, lagen zudem im Kirchspiel verstreut oder gar darüber hinaus. Da waren beispielsweise der Froweinshof, der später zum oberen Wiedenhof wurde, in dessen Nähe Stursberg, das heutige Groß-Sporkert, Windgassen, Olpe und ein Teil von Kotthausen sowie Besitzungen in Lennep. 1365 bestätigte der Landesherr in einem Freiheitsbrief den Vasallen des Rittergutes Lüttringhausen ihre Vorzüge, unter anderem der Steuerfreiheit gegenüber dem Landesherrn, wobei sich anmerken läßt, daß Lehensverhältnisse, wie jene zu den Herren von dem Bottlenberg, außerordentlich milde Herrschaftsäußerungen darstellen konnten. Lüttringhausens spätere Entwicklung in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht hat davon profitiert. Sicherlich galt dies auch für die Aufbauphase von Kirche und Dorf nach dem Brand von 1733.

Es gilt noch auf eine Besonderheit im Kirchenwesen des Mittelalters aufmerksam zu machen, die auch in die Neuzeit nachwirkte. Hierbei handelt es sich um die Sendgerichtsbarkeit, jene geistlichen Gerichte, die neben die weltlichen, vor allem gräflichen bzw. landesherrlichen Gerichte getreten waren. Die Lehre der Kirche in dogmatischer Bindung und kultischen Äußerungen hat die Schaffung eines kanonischen Rahmens bewirkt, der einer Überwachung bedurfte. Vorab galt dies seit den Tagen des Investiturstreites zwischen Kaiser und Papst und den daraus resultierenden Kompromissen. Weltliche und geistliche Gewalten wurden neu gesetzt.

Urgrund der Sendgerichtsbarkeit war das bischöfliche Visitationswesen, aus dem die Archidiakone weithin als Gerichtsherren hervorgegangen waren. In vielen Fällen gaben sie die Gewalt weiter an Landdechanten und Pfarrer.

Auch Lüttringhausen besaß ursprünglich eine Sendgerichtsbarkeit. Vergehen gegen die kirchlichen Gebräuche mit der sogenannten Kirchenrüge und der Sittenklage wurden verhandelt.

Wir wissen zu wenig über diesen Lüttringhauser Send, erkennen jedoch seine Zuständigkeit auch über die Zeit der parochialen Abspaltung Lenneps hinaus. Sogar nach der Reformationszeit blieb das Sendgericht erhalten, wenngleich die Lutheraner zu Lüttringhausen und Lennep nicht mehr dazu zählten, dafür aber die katholischen Pastoren von Steinhaus-Beyenburg und Lennep, und zwar hier vom neuen Minoritenkloster, den Sendtag nach altem Brauch in Lüttringhausen abhielten. Ihre Zusammenkunft fand in der lutherischen Küsterei statt.

Für die Gemeinden der Reformation, hier die Lutheraner, galt ein neues Kirchenzucht-Verständnis, das seit dem 17. Jahrhundert synodal und consistorial praktiziert wurde. Luther selbst hatte das Sendgerichtswesen zu den kirchlichen Mißbräuchen gerechnet, obwohl er ein Ordnungswesen für erforderlich hielt. Kompromißformen entstanden zwischen altkirchlichem und reformatorischem Geist, wobei auf das nahe Beispiel Burscheid verwiesen werden soll. Hier verschmolzen altes Sendgericht und lutherisches Kirchenwesen zu einem bis 1835 praktizierten Send.

Als die neue Lehre sich durchsetzte

Auch für Lüttringhausen liegt kein durchsichtiges Reformationsgeschehen vor. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kristallisierten sich wie in der Nachbarschaft die neuen Verhältnisse heraus. Für die Pfarrei galt es, nicht einfach aufgrund neuer Lehransätze und religiöser Einstellungen einen Konfessionswechsel vorzunehmen, sondern einen Rechtskörper aus altkirchlichen Bindungen gegenüber geistlicher und weltlicher Obrigkeit herauszulösen, um ihn innerhalb eines im Lande neu zu schaffenden Kirchenregiments zu etablieren. Dies beschäftigte die kommenden Generationen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Adolf Clarenbach vom Buscherhof, einem Lenneper Außenbürgerhof in der Pfarrei Lüttringhausen, erlitt 1529 als Prediger und Bekenner der neuen Lehre den Ketzertod zu Köln. Obwohl das Auftreten dieses Mannes in seiner Heimat nur intermezzo-haften Charakter hatte, blieb es offenbar eindrücklich genug, um in Verbindung mit seinem Martyrium eine Signalwirkung auszuüben.

Einbrüche in die altkirchlichen Strukturen erkennen wir in einigen wenigen Andeutungen. So tendierte der Pfandinhaber des Amtes Beyenburg, Graf Philipp von Waldeck, mit seiner Frau Anna von Cleve zur neuen Lehre, zumal in seinem eigenen Territorium, der Grafschaft Waldeck, die hessische Kirchenordnung eingeführt worden war. Philipps Bruder Franz, Vorgänger als Pfandherr, dann aber auf den bischöflichen Stuhl zu Münster gewählt, hatte zuvor noch Maßnahmen gegen CIarenbachs Auftreten ergriffen, ihm das Betreten des Lüttringhauser Kirchspiels wie des ganzen Amtes Beyenburg verboten. Gegnerschaft war Adolf Clarenbach vor allem auch im Beyenburger Kreuzherrenkloster erwachsen.

Noch etwas scheint uns ein Zeichen des religiösen Wandels gewesen zu sein. Im Jahre 1540 ging man nämlich hin, einen Vikar zur offenbar besseren geistlichen Versorgung anzustellen. Die treibenden Kräfte fanden sich in der Bruderschaft Unserer Lieben Frau, die am entsprechenden Altar der Pfarrkirche Messgottesdienste wünschte. Der Patronatsherr von dem Bottlenberg sperrte sich aus rechtlichen Gründen gegen dieses Vorgehen der Pfarrgenossen. Er willigte erst ein, als sein eigener Hauskaplan die Stelle bekam und er zukünftig aus einer Vorschlagsliste wählen konnte. So kamen die Lüttringhauser zu einem zweiten Geistlichen, für den neben dem alten Pfarrgut, dem Wiedenhof, ein eigenes Versorgungsgut erforderlich war. Der dem Wiedenhof benachbarte Froweinshof wurde zum Vikariegut, später zweiter Wiedenhof genannt.

Die Bemühungen um eine Kirchenreform in den Herzogtümern Jülich, Cleve und Berg, personell geeint unter dem Haus Cleve-Mark, waren Anlaß zu landesherrlichen Erkundigungen in den Pfarreien, gegen die der Erzbischof von Köln Einspruch wegen Anmaßung des bischöflichen Visitationsrechtes erhob. Am 31. August 1550 befragte der Beauftragte Herzog Wilhelms den Lüttringhauser Pfarrer Franz Beitel (Franss Beittell), der noch nach altem Ritus Gottesdienst hielt. Vikarie-Inhaber war der Sohn des Beyenburger Richters und Rentmeisters Anton von Dortmund (Thonis van Dortmunde). Dieser studierte noch, weshalb sein Vater sich für einen „Heuerpfaffen“, somit einen Vertreter eingesetzt hatte. Dergleichen Vertretungen waren keine Seltenheit.

Mit Pastor Beitel war man zufrieden. Der Landschreiber aber verzeichnete dessen Klagen über Personen und Ereignisse; oppositionelle Strömungen werden dabei erkannt. Merkwürdigerweise brachte Pastor Beitel die neue Lehre mit gewerblichen Tätigkeiten in Zusammenhang.

Wir erfahren

„..daß er etliche widderwerdigen in sinem kirspel hab, die uf den heilligen apostels und andern heilligen dagen nit zo kirchen gain noch feiren, sonder smitten und arbeitten offentlich in ansehen der gemeiner naber und geben denselben ergernus und buesse exempeln; und hefte noch am vergangen tag decolationis Johannis, als der pastoir das heilige sacrament mit den nachbern umb die kirch gedragen, Johan Boeninck der wirth zu luiterkuissen sin huis wiessen laessen, und als der pastor nach der missen zo denselben gegangen und sie mit worten gestraft, daß sie ubels gethoin, daß sie diessen tag nit feiren, dewil er zo fieren were ingesatzt, daruf sie siner gespot und innen gnant haben einen vollert…“

Schließlich erfahren wir in einer Randnotiz über weitere Besonderheiten und Personen, neben dem Wirt Johan Boeninck die Clarenbach-Geschwister Franz thom Busch, Johan thom Busch und ,,disser beiden suster, so zu Rade wohnhaft sind…“.

Da heißt es weiter:

,,Nota, das Clarenbachs broder und suster (wilcher zo Collen verbra worden) diesse widderwerdigen sin, die diesse newerung infueren… Ur wanne der pastor das crucifix zo oistern und das sacrament umb drag so spott er damit und veracht es.

Hat auch diesser vurschreven Johan inerhalb 7 oder 8 jaren bi sinem pastoir nit wie ander christen minschen communicirt.

Zodem zeigt auch an der pastor und rentmeister, das diesser vurschn yen Johan noch am vergangen olstern rottungen und samblongen in s ners broders Franssen huiss zum Buschs glegen in der burgerschaft Lennep, doch zo Luiterkuissen mit dem kirchen gank gehorig, angericht un ire communion und predigten heimlich gehalden. Will der rentmeister amptz halb gepurlichs insehens thun, das diesse newerung nit gestat sonder abgeschafft werden soll…“

Doch ,,diese Neuerung“ reformatorischen Lebens ließ sich nicht mehr abändern wenngleich die ,,curata capella“ Steinhaus zur Beyenburg und das dortige Kreuzherrenkloster dem alten Glauben verpflichtet blieben. Erst als der aus Elberfeld stammende, ehemalige Kaplan Peter Lo als betont evangelischer Prediger von Graf Franz II. von Waldeck nach Beyenburg berufen wurde, zeichneten sich ab 1558 dort reformatorische Strukturen ab. Auch unter Lo‘s Nachfolger Goswin von Schwerte mehrten sich diese Anzeichen, die bald zum Konflikt zwischen dem waldeckischen Pfandherren des Amtes und dem Prior des Klosters führten. Der Landesherr mußte eingreifen, das Kloster setzte sich durch. Dem abgesetzten Geistlichen folgte ein die alte Lehre entschieden vertretender Ordenspriester. 1577 wir die Steinhauser Kapelle als ,,Kirchspielskirche“, 1582 gar als ,,Pfarr- oder Kirchspielskirche“ genannt. Obwohl sie rechtlich noch lange nicht eindeutig diesen Charakter besaß, sondern an die Lüttringhauser Mutterkirche gebunden blieb, zeigt diese Benennung doch die religiösen Gegensätzlichkeiten jener Jahre an. Doch bevor das 16. Jahrhundert zu Ende ging, kam es im Steinhauser Kapellenbereich noch einmal zu religiösen Praktiken, die auf evangelische Regungen schließen lassen. Man verweigerte sich einem Ordensgeistlichen, ließ die Kinder in Lüttringhausen taufen, was – wie bereits im Zusammenhang mit dem Patrozinium erwähnt —altem Recht entsprach, nun aber auch eine Äußerung im konfessionellen Dualismus war. Der Weg der Kapellen- und späteren selbständigen Pfarrgemeinde Steinhaus im Umfeld des Kreuzherrenkosters aber wurde bis in die Neuzeit katholisch begangen.

Die Lüttringhauser Religionsverhältnisse zugunsten der neuen Lehre sind wohl mit dem Amtsantritt des aus Lennep gebürtigen Pfarrers Johann Becker in Gang gekommen. Im Bericht der verwitweten Gräfin Maria von Waldeck an Herzog Wilhelm vom Dezember 1577 wird Becker als seit elf Jahren im Amte stehend bezeichnet. Unklar bleibt die Person eines Dietrich Greveler, der zuvor Pastor gewesen sein soll. Evangelische Bestrebungen aber waren stärker und stärker geworden, hinter denen offensichtlich auch das Wohlwollen des Patronatsherren stand. Becker begegnet uns später, ab 1597, als Pfarrer zu Lennep und als Verfechter lutherischer Gesichtspunkte.

Die Vikarie wurde ebenfalls von einem Lenneper namens Christian versorgt, wie wir einem Bericht der Gräfin von Waldeck aus dem Jahre 1582 entnehmen können. Pastor Beckers Nachfolger war Eckart Hartmann (Durandus), der aus dem Kirchspiel Lüttringhausen stammte. Auf ihm gründete eines der bekanntesten lutherischen Pfarrergeschlechter im Lande.

Während seiner Amtszeit wurde 1592/93 Lutger Küller (Cullerus) Vikar. Dieser aus Lütgendortmund stammende Geistliche neigte zum reformierten Kirchenwesen, so daß sich bald innerreformatorische Spaltungserscheinungen im Kirchspiel bemerkbar machten. Die inzwischen bestehende Bergische Synode der Reformierten sah Küller als Mitglied, Pastor Hartmann nahm eine schwankende Haltung ein. Letztlich aber blieb Hartmann dem Augsburgischen Bekenntnis treu, so daß sich ein scharfer Gegensatz zu Küller bildete. Dieser beschwerte sich 1597 auf seiner Synode über Hartmann, der ihn und die übrigen Reformierten geschmäht habe. Schließlich verließ Küller 1599 Lüttringhausen, um Pastor zu Wermelskirchen zu werden.

Lüttringhausens Weg ins Luthertum, so wie der seiner Nachbargemeinden zu Lennep und Remscheid wie auch der zur Pfarrselbständigkeit bald erhobenen ehemaligen Kapellenstätte Remlingrade, blieb ein dauerhafter. Die weniger und weniger werdenden Anhänger des reformierten Bekenntnisses hielten sich zur Cronenberger Kirche.

Im Jahre 1612, inmitten des clevischen Erbfolgestreites, wo es um die politische wie auch konfessionelle Zukunft in den bis 1609 unter dem herzoglichen Hause Cleve personell vereinigten Ländern Jülich, Cleve, Berg, Mark und Ravensberg ging, fanden die Lutheraner zu kirchenrechtlich bedeutenden Synoden auf jeweiliger Landesebene zusammen. Die Reformierten, obwohl reichsrechtlich noch nicht gleichrangig den Lutheranern, jedoch im Westen des Reiches politisch begünstigt, hatten ihre Kirche bereits synodal gefestigt. Im August jenes Jahres 1612 kamen 34 Prediger und 2 Lehrer zur bergischen Landessynode der Lutheraner in Lennep zusammen. Ein gemeinde- und kircheneinigender Schritt wurde vollzogen. Namen der auf dieser Synode anwesenden Geistlichen und Lehrer sind nicht überliefert. Vermutlich aber wird Eckart Hartmann ebenso wie sein Sohn Johannes, Pfarrer zu Remscheid, die Lenneper Synode besucht haben.

Gemeinde im bergischen Luthertum

Zwischen religiöser Bedrängnis und rechtlicher Absicherung sind die Wege von Landeskirche und Gemeinde im 17. Jahrhundert zu suchen. Die clevischen Land wurden geteilt. In Cleve, Mark und Ravensberg kam Brandenburg, in Jülich und Berg das wittelsbachische Pfalz-Neuburg zur Herrschaft. Zu den Drangsalen in einem dreißig Jahre währenden Krieg gesellten sich die Gewaltmaßnahmen der Gegenreformation.

Sehr viel später, am 30. Mai 1702, trug Pastor Johann Klein anläßlich der Beerdigung der 87jährigen Catharina Frantzen in der Olpe in das Lüttringhauser Sterberegister ein, daß diese alte Frau ihm öfters erzählt habe, daß man 1628 unter Pastor Zentlero den Gottesdienst in der Hermannsmühle habe abhalten müssen. Die Jesuiten hätten damals die Kirche besessen. Laut habe man ,,Wenn wir in höchster Nöten sind“ gesungen, daß es in die Berge erschollen sei.

1634 drangen Soldaten einer schwedischen Einheit gewaltsam in die Kirche. Sie zerschlugen u. a. die in ihr befindliche Schöffenkiste. Möglicherweise vertrieben die Schweden die Jesuiten.
Als im Westfälischen Frieden 1648 festgelegt wurde, das Jahr 1624 als Ermittlungszeitpunkt für den konfessionellen Status einer Pfarrei bzw. den Besitz einer Kirche anzusetzen, da mußte man das Lüttringhauser Gotteshaus den Lutheranern, die Kapelle zu Steinhaus den Katholiken zusprechen.

1654 trat in Lennep Johann Scheibler sein Pfarramt an. Die wichtigste Persönlichkeit des Luthertums im deutschen Westen jener Jahre trat auf. Nun gaben sich die Lutheraner unter Scheiblers Regie auf bedeutenden Synoden eine Verfassung; die Generalsynode wurde oberste Autorität, war ,,durch die Gnade Gottes“ kirchlicher Gesetzgeber. Kurbrandenburg verglich sich mit den katholischen Fürsten am Rhein, vor allem mit den Pfalzgrafen und Kurfürsten von der Pfalz als Herzögen von Jülich und Berg in wichtigen Religionsverträgen. Auf diesem Hintergrund entstand die lutherrsche Landeskirche im Herzogtum Berg. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts schuf sie sich eine klare Gliederung. So entstanden die Inspektions-Bereiche Ober- und Unterberg, unterteilt in sogenannte Klassen. Lüttringhausen fand seine Aufnahme in die Lenneper Klasse der Unterbergischen Inspektion.

Hinsichtlich der Steinhauser Kapelle fochten die Lutheraner die katholische Zuständigkeit bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Schließlich mußten sie jedoch die endgültige obrigkeitliche Zuordnung dieser Kirche als Mittelpunkt einer neuen katholischen Pfarrei zur Kenntnis nehmen.

Die beiden Lüttringhauser Geistlichen, also Pfarrer und Vikar, wurden im Laufe der Zeit als erste und zweite Prediger bezeichnet. Vermögensrechtliche Gründe führten ferner zu einer Gleichbewertung der beiden Wiedenhöfe. Längst erkannte man zudem, daß der Vikar und nunmehrige zweite Prediger nicht mehr ausschließlich nach den alten Grundsätzen ein im Kirchspiel oder aus der Nähe gebürtiger Seelsorger sein konnte. Beide Geistlichen sah man um 1721, als Pastor Klein und sein Sohn amtierten, nahezu als gleichrangig an, was mit Anbruch der preußischen Zeit (1815 / 16) dann noch einmal betont wurde.

Ohne weiteres sind die Seelsorger nach dem 30jährigen Krieg der lutherischen Orthodoxie zuzuordnen. Johann Wilhelm Garenfeld, der 1669 Peter Zentlero (Zenger) folgte, läßt dies bereits erkennen. Sein zweiter Prediger Anton Schmitt, der 1670 mit der Niederschreibung der Kirchenbücher begann, dürfte wie sein Nachfolger Johann Klein zeitweilig mit ihm Schwierigkeiten gehabt haben, weil Garenfeld der Trunkenheit bezichtigt wurde, selbst auch öffentlich Besserung gelobte.

Klein folgte Garenfeld. 1710 trat ihm sein Sohn Johann Albert Klein zur Seite, um nach des Vaters Tod 1722 dessen Amt zu übernehmen.

Lüttringhausen galt zu Beginn des 18. Jahrhunderts als ein gewerbereiches Kirchspiel, in dem ein gewisser Wohlstand nicht zu übersehen war. In einem Bericht des bergischen Hofkammerrates und Rentmeisters für das Amt Beyenburg sowie gleichzeitigem Lehnsverwalter der inzwischen zu Schloß Neuenhof bei Lüdenscheid residierenden Freiherren von dem Bottlenberg-Kessel, Johann Wülfing, wird das Leben im adeligen Dorf, der „Freien Herrlichkeit Lüttringhausen“, recht anschaulich beschrieben. So vermerkte Wülfing im Jahre 1729 unter anderem:

„… die Mägde tragen sich allhier galant, so daß man schier keine Frau vor der Magd erkennen kann. Die Tag-Löhner pudern des Sonntags ihre Haare. . .Thee und Caffe ist allhier unter dem gemeinen Volck, daß auch viele Gelder dadurch verschwendet werden, gar gemein…“

In jener Zeit der kirchlichen und wirtschaftlichen Festigung traf die Lüttringhauser das Brandunglück vom 25. Juli 1733.

Ein neues Haus zur Ehre Gottes

Nicht zum ersten Male wurden die Lüttringhauser durch einen Großbrand getroffen. So wissen wir über einen Dorfbrand im Jahre 1536, der auch die Kirche schädigte, sie jedoch nicht zur Ruine gemacht hatte. Nunmehr aber, 1734, entschloß man sich über den Trümmern ein modernes Gotteshaus zu errichten, das außer seiner Turmstellung im Westen und seiner Ost-Ausrichtung keine Ähnlichkeit mit dem Vorgängerbau besaß.

Man zog die Mauern für einen in den Außenmaßen 23,5 m langen und 18,4 m breiten Saalbau hoch. Die Maße für den erneuerten Turm ergaben eine zusätzliche Kirchenlänge von ca. 6,15 m bei einer Breite von ca. 6,80 m. Der Saalbau erhielt eine gewölbte Decke. Somit wurde der Raum für eine evangelische Predigtkirche geschaffen. Beide protestantischen Konfessionen in Deutschland akzeptierten für einen solchen Raum das Charakteristikum des Kanzelaltares, der zudem noch mit der darüber angebrachten Orgel zur sinnfälligen Darstellung von Sakrament (Altar), Verkündigung (Kanzel) und Lobgesang (Orgel) in diesen sogenannten Prinzipalstücken Anlaß bot.

Diese bauliche Eigenart war nicht bergischer Herkunft, doch hierzulande, in Berg und Mark, griff man allenthalben auf dieses Bauprogramm zurück, zumal viele Kirchen älterer Herkunft damals erneuert werden mußten. Das 18. Jahrhundert, in dem bald Pietismus und Aufklärung neben die Orthodoxie der gefestigten Reformationskirchen traten, sah in diesem Bauprogramm eine bis heute bedeutungsvolle Äußerung, die auch eine Absage an das mittelalterliche Gotteshaus mit seinem Mittelgang als Prozessionsweg war. Hier stand das Gestühl in einem nur seitwärts zu umgehenden Block, wo die Geschlechter nach altem Brauch getrennt saßen. Im 19. Jahrhundert kam es zur Ablehnung dieser Kirchen-Innengestaltung.

Bemerkenswert wurde in Lüttringhausen als einer sich orthodox verstehenden Gemeinde für hierzulande untersuchbare Landkirchen die reiche Ausstattung. Nichts ließ man unversucht, um im Herzogtum und darüber hinaus Geld einzutreiben. Bitten um Unterstützung und Vergünstigung richtete man u. a. an den zu Mannheim residierenden katholischen Landesherrn Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz.

In dieser Angelegenheit existiert auch ein Schreiben, das als Schriftstück aus der königlich-preußischen Kanzlei Friedrich des Großen ausgewiesen ist. Interessanterweise enthält es den Namenszug des Königs, der nachgemacht wurde. Das Schriftstück von 1748 ist bestenfalls die Kopie (Abschrift) eines nicht mehr vorhandenen Originals mit möglicherweise gefälschter Unterschrift, oder es ist insgesamt eine Fälschung, mit dessen Vorlage man sich jedoch Vorteile für die Kirche versprach.

Die barocke Ausgestaltung, nicht ohne derbe Kraft einer ländlichen Kunst, dennoch mit dem Pathos und der Eleganz jener Zeit, hat nicht alle Namen ihrer Meister hinterlassen. Doch die bei der Restaurierung in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts entdeckte Signatur eines Conrad Henrich (von) Heiligenhaus entläßt einen Gestalter der Prinzipalstücke aus der Anonymität.

Bedeutungsvoll, dazu die strenge lutherische Gemeinde charakterisierend, sind die schlichten, aber aussagestarken Apostelbilder, welche ringsum die Emporenbrüstung zieren. Für evangelische Gotteshäuser jener Zeit im hiesigen Raum ist dies eine Besonderheit, weil eine ikonographische Aussage vorliegt, die auf das liturgisch-kultische Geschehen am Ort bezogen war.

Recht mächtig wirkt die Orgel, die man 1736 bei Johannes Streffing zu Datteln bestellte. Etwa zwei Jahre arbeitete dieser mit dem ebenfalls genannten Heinrich Streffing an diesem Werk, welches – an der Größe des Gotteshauses gemessen – für jene Zeit erstaunliche Dispositionen erhielt. In zwei Manualen finden sich 24 Register, dazu Pedalwerk und Nebenzüge. Auffallend das Rückpositiv des Werkes über dem Schalldeckel der Kanzel, auf dem König David die Harfe schlägt. Posaunenengel, die früher durch Einstellung vom Orgelpult aus ihre Instrumente heben und senken konnten, sind inzwischen seitenverkehrt angebracht worden. Statt nach außen richten sie die Instrumente ins Kircheninnere.

Der Orgelprospekt ist hinsichtlich der Pfeifenanordnung dreigliedrig. Er spricht eine Mächtigkeit aus, die der Musik im Gesamtkunstwerk des Barock eine neue Stellung zuweist.

Noch etwas gibt es in der Kirche zu Lüttringhausen, das eine Besonderheit ist. Dieses Gotteshaus besitzt ein Patronatsgestühl, das an die Herren des freiadeligen Dorfes Lüttringhausen und der Kirche seit mittelalterlichen Tagen erinnert. Nicht etwa, daß in der Enge und dazu noch weit vom Altarbereich entfernt in diesen sogenannten Lehnhäuschen (Lehnhüsker) die Freiherren von dem Bottlenberg mit ihren Familienangehörigen oft oder überhaupt gesessen haben, sondern hier konnte auch ihr zuständiger Verwalter, wohnhaft in der alten, damals neu errichteten Rentei, stellvertretend Platz nehmen. Mehr noch war es wichtig, daß die Präsenz der Bottlenberger für jeden sichtbar ausgewiesen war. Unter dem Wappen des Lehns- und Patronatsherrn, angebracht über dem turmseitigen Ein- und Ausgang, defilierten die Lüttringhauser gleich welchen sozialen Standes zwischen dem Herrengestüh1.

Wir sehen das Ehe-Allianzwappen der zum Kirchenerrichtungs-Zeitraum lebenden, zu Schloß Neuenhof bei der märkischen Stadt Lüdenscheid wohnhaft gewesenen Eheleute Friedrich Leopold Christian von dem Bottlenberg genannt Kessel und Elisabeth Juliane von Syberg.

Das Bottlenberger Wappen trägt auf silbernem Grund den schwarzen Wechselzinnenbalken mit dem weißen Hundekopf auf dem Helm, dazu roter Zunge und dem Schildzeichen; ferner (links, d. h. vom Betrachter rechts gesehen) das Sybergsche goldene Rad im schwarzen Feld, wobei das Rad als Helmzier zwischen schwarzgoldenen Straussenfedern wiederholt wird.

In bergischer Spätzeit

Eine Betrachtung des kirchlichen Lebens in der Vergangenheit läßt die Frage nach der personellen Größe der Gemeinde zu. Nehmen wir die von der herzoglichen Regierung angeforderten Zahlen aus dem Jahre 1773. Damals wurden für die lutherische Gemeinde Lüttringhausen 4.486 Seelen angegeben. Sie zählte zu den großen Gemeinden ihrer Konfession im Herzogtum. Zum Erhebungszeitpunkt lag sie an zweiter Stelle hinter Remscheid und vor der drittgrößten Gemeinde Elberfeld. Diese Seelenzahl gliederte sich auf in 894 Männer, 906 Frauen, 1246 Söhne, 1124 Töchter, 173 Knechte und 143 Mägde.

Angewachsen war die Bevölkerung im Kirchspiel ohnehin. Zuwanderung war die Folge der günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse. So sollte es bleiben. Anfänglich drängte es den lutherischen Zuwanderer nach hier. Ein Zeichen der allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen aber war es, daß nach 1770/80 ein solcher, strenger Maßstab mehr und mehr unbeachtet blieb.

Es wurde bereits angedeutet, daß die wenigen reformierten Kirchspielbewohner sich zur Cronenberger Pfarrkirche hielten. Aus dem Jahre 1711 kennen wir eine Cronenberger Kirchenrolle, die uns 91 Glaubensgenossen zu Lüttringhausen, hauptsächlich im westlichen und nordwestlichen Kirchspiel wohnend, nennt. Von diesen dürften 52 Personen über 14 Jahre alt gewesen sein, weil sie als Kommunikanten bezeichnet werden. Erkennbar sind 21 Familien und Eheleute.

Das Schulwesen war gänzlich kirchliche Angelegenheit. Erst ab der Napoleonzeit änderte sich dies. Es gab seit langer Zeit, bestimmt schon im Reformationsjahrhundert, die Pfarrschule. Ihr Schulmeister war vielfach auch als Küster tätig, immer war er jedoch auch Organist. Bei seiner Ernennung sprach der Patronatsherrr ein wichtiges Wort mit.

Notwendig aber wurden die Hofesschulen. Wir finden sie auf dem Heydt, auf dem Berg, auf dem Spiecker, zu Sporkert, dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch zu Garschagen, auf dem Hardtplätzchen, zu Herbringhausen, auf dem Goldenberg, zu Grund und am Düring. Halbach und Wallbrecken kamen hinzu. Allesamt muß man sich diese Schulen als bescheidene Unterrichtsstätten, meist einklassig in Wohnhäusern untergebracht, vorstellen. Ihre Lehrer hatten sich vor der Einstellung dem Pastor und dem Konsistorium vorzustellen, dabei eine Prüfung abzulegen.

Das Armenwesen betreute die Kirche ebenfalls. Man unterhielt u. a. ein besonderes Armenhaus mit Ländereien. An der Kluse, beim Galgenbüschchen, aber stand einstmals ein Siechen- und Leprosenhaus, das Lüttringhausen und Lennep gemeinsam unterhielten. Ein Regierungserlaß aber verbot diese Häuser im Jahre 1712, weil sie als ,,Gesindelstätten“ landesweit in Verruf gekommen waren. –

Sucht man in der Lüttringhauser Geschichte in nachreformatorischer Zeit nach einem besonders originellen Geschehen, dem gar ein gewisser dramatischer Verlauf nicht abgesprochen werden kann, so muß auf das Ronsdorfer Ereignis verwiesen werden.

Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts suchte der aus calvinistischem Umfeld heraustretende Elberfelder Florettseidenband-Fabrikant Elias Eller ein neues Zion zu gründen. Aus dem Tal der Wupper zog er mit seiner Anhängerschaft zum Hofe Ronsdorf in der Lüttringhauser Honschaft Erbsloe. Sein theokratisches Regiment, das in der sehr schnell angewachsenen Siedlung das eigene Wohnhaus als ,,Zionshütte“ bald zum Mittelpunkt werden ließ, führte zu einem religiösen Separatismus, doch auch zu einer Stadtwerdung des Ortes im Jahre 1745.

Ronsdorfs Gründung war eine empfindliche Beeinträchtigung der alten Rechtsverhältnisse im Amte Beyenburg. Das dortige religiöse Leben, welches längere Zeit brauchte, um wieder in die reformierten, landeskirchlichen Bahnen zu finden, stellte weithin jedoch für die lutherische Gemeinde Lüttringhausen keine direkte Benachteiligung dar. Doch in der neuen Stadt wurden gut zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung die Stimmen dortiger Lutheraner, weithin Zuwanderer und Neubürger, laut, eine eigene Kirche und Gemeinde wie die Reformierten zu besitzen. Der Konflikt sollte unausbleiblich sein.

Im Jahre 1789, als in Frankreich die Revolution begann, war es soweit, daß ein lutherischer Pfarrsprengel zu Ronsdorf geschaffen wurde, dessen Umfang an einem Radius von einer halben Wegstunde vom Stadtmittelpunkt aus gemessen werden sollte. Die Lüttringhauser mit ihrem Konsistorium erhoben Einspruch gegen diese umfängliche Abspaltung. Bald kam es zu einem jahrelangen Prozeß, weil man in allen finanziellen Angelegenheiten, so den Kirchensitzanteilen, den Erbgräbern und Beerdigungen im Dorf, der Armenkasse und den Opfergeldern keine Einigung erzielen konnte. Eines Tages, als eine Beerdigung auf dem neuen Ronsdorfer Friedhof der Lutheraner stattfinden sollte, ging man mit Gewalt und großem, bewaffnetem Aufgebot gegen die Ronsdorfer vor. Zum Lüttringhauser Gottesacker brachte man die Leiche. Zugleich suchte man gegen die bergische Regierung, die die Gemeindebildung zugelassen hatte, den Beistand der preußischen Krone, was zu politischen Verlegenheiten führte.

Nun wurde ein neuer Pfarrbezirk mit Grenzsteinen abgesteckt, deren Setzung ebenfalls heftigen Protest hervorrief. Endlich im Jahre 1791 fand man sich in einem Kompromiß. Die Ronsdorfer Gemeinde entstand für den Bereich der Stadt und der benachbarten Höfe und Wohnplätze zu Höhe, Monschau, Huckenbach, Dorn, Schultenbaur, Baur, Cölschejahn und Lichtscheid. Gleichzeitig flossen Entschädigungsgelder in die Lüttringhauser Kirchenkasse.

Damals, als man mit Gewalt eine Leiche von Ronsdorf nach Lüttringhausen holte, war die Endzeit der Belegung des alten Gottesackers um die Kirche gekommen. Seit dem Mittelalter fanden die Menschen hier ihre letzte Ruhe auf einem Platz, der sich bis an die Wohnhäuser erstreckte. 1764 wurde der Friedhof zum letzten Mal vergrößert. Auch das Kircheninnere war stets der letzten Ruhe für die ersten Kreise des Kirchspiels, vorab Geistliche und Standespersonen, vorbehalten. Es gab Erbbegräbnisse, vorab zu den Bottlenberger Eigenbesitzungen seit frühen Tagen gehörig. Im Jahre 1574 soll Graf Franz II. von Waldeck, Pfandherr des Amtes Beyenburg, 1594 seine Ehefrau Maria geborene von Gogreve nach alten Mitteilungen beigesetzt worden sein.

Ungesichert ist es, ob in der neuen Kirche des 18. Jahrhunderts keine Bestattungen erfolgten, wie es vermerkt worden ist. Die einsetzende Aufklärung samt den daraus folgernden Verboten der bergischen Regierung führte überall zum Belegungsende in den Gotteshäusern und endlich auf den Friedhöfen inmitten der Altsiedlungen. Der seit Anfang des 19. Jahrhunderts existierende neue Friedhof vor dem Dorf im Freigelände war die Konsequenz. Im Dorf, wo man die Wegeverhältnisse neugestaltete, mußte man durch Schaffung einer Mauer den Kirchplatz verkleinern. Jetzt wie schon zuvor bei der Kirchenneugestaltung transportierte man die alten Grabplatten und Grabsteine ab. Nur ganz wenige Spuren haben sich von ihrer einstmals großen Anzahl erhalten. –

Der geistliche Standort der Gemeinde war nach wie vor von der alten Rechtgläubigkeit bestimmt, die seine Pastoren offenbarten. Zwei lutherische Pfarrergeschlechter dominierten im Lüttringhausen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts: Boeddinghaus und Elbers. Jeweils drei Vertreter dieser Namen standen auf der Kanzel. Bei den Elbers nacheinander Vater, Sohn und Enkel. Da war der aus Hattingen stammende Johann Heinrich Elbers bis 1768 im Amt, dessen 1753 in Lüttringhausen geborener Sohn Friedrich Wilhelm Elbers 1816 im Amte starb, um wiederum vom dort gebürtigen Sohn Friedrich Elbers gefolgt zu werden. Bei den Boeddinghaus, wo von 1756 bis 1782 in beiden Predigerstellen der aus Holpe gebürtige Johann Christian Boeddinghaus den Anfang machte, traten die Söhne Johann Christian der Jüngere und Karl Theodor in der zweiten Pfarrstelle auf.

Beide Pfarrergeschlechternamen verbinden sich zudem mit den für die Vergangenheit charakteristischen Merkmalen der geschlossenen Heiratskreise, denn es gab zwischen diesen Familien entsprechende Verflechtungen und Ahnengemeinschaft.

Verfolgt man den theologischen Werdegang dieser Geistlichen, so stellt man fest, daß diese an den Universitäten Halle und Jena studierten, dort also, wo die Orthodoxie und (wie vor allem in Halle) der frühe Pietismus vom aufklärerischen Denken weithin überwältigt worden waren. Dennoch waren die Elbers in der zweiten und dritten Generation wie auch die Boeddinghaus keine Aufklärer, aber aufgeschlossen blieben sie dem neuen Denken, was sich hin und wieder in ihren Aktivitäten, gar schriftstellerischen Arbeiten feststellen läßt.

Pietistische Einschübe blieben nicht aus, denn im Zeitalter der Empfindsamkeit und der individuellen religiösen Äußerung war geistliche Originalität weithin gefragt. So war Friedrich Wilhelm Elbers an endzeitlichen Offenbarungen gelegen. 1776 heiratete er eine durch Visions-Äußerungen bekanntgewordene Frau aus dem Kreis um den Pietisten, Mystiker und Arzt Samuel Collenbusch, eine Anna Dorothea Wuppermann aus Wichlinghausen, die aber an Elbers Seite nicht mehr seherisch auftrat.

Vermerkt sei noch, daß aus dem Pfarrergeschlecht der Hartmann, deren Ahnherr uns im späten Reformationsgeschehen begegnete, während der Mitte des 18. Jahrhunderts im zweiten Predigeramt Heinrich Theodor Hartmann, aus dem heutigen Bergisch Neukirchen gebürtig, bekannt wird. Er starb 1755. –

Suchen wir nach einem zeittypischen Gemeindeereignis jener Jahre, so kann auf die Taufe der unverheirateten, 26jährigen Jüdin Sara Hirsch aus Bettendorf bei Aachen im Jahre 1763 aufmerksam gemacht werden. Aufgrund einer Vermittlung wurde diese Taufe unter großem Volksandrang vollzogen. Mit Genugtuung hieß es, daß die junge Frau sich für das Luthertum entschieden habe, obwohl sie ,,von denen Römisch Catholischen gelocket worden“ sei. Ihr neuer Name Maria Christina Catherina Bergmann war, zumindest was die Vornamen betraf, von ,,angesehenen Jungfern“ aus Lennep und Lüttringhausen entlehnt, die als Taufzeugen mit den Kaufleuten Peter Melchior Goldenberg und Theodor Fuhrmann auftraten. Ins Taufbuch aber wurde nach ausführlicher Beschreibung des Ereignisses eingetragen:

,,Jesus Christus, der Hirte und Bischoff unserer Seelen, der dieses verirret gewesene Schäflein gesuchet und gefunden, lasse diese Proselytin seiner Hirten-Treue stets empfohlen seyn und nehme dieselbe mit uns endlich in seinen ewigen Schafstall ein…“. –

Der König und seine Landeskirche

Der historische Rahmen für das frühe 19. Jahrhundert ist durch Ansage einiger weniger Jahreszahlen, mit denen sich schicksalhafte Veränderungen verbinden, abgesteckt. 1803/04 erfolgte die Aufhebung der Klöster, darunter Beyenburg, wo Jahre später auch das Gotteshaus zu Steinhaus abgebrochen wurde. Im Jahre 1806 endete das alte Deutsche Reich unter den Fußtritten Napoleons. Mit ihm hörte das Herzogtum Berg auf zu bestehen. Sein Territorium wurde in ein neues Großherzogtum gleichen Namens als französischer Satellitenstaat eingebracht. Die bergische Ämterverfassung erlosch, das Ende der lehnsherrschaftlichen Bindungen war gekommen. Lüttringhausen wurde frei von den Herren von dem Bottlenberg-Kessel, denen man etliche Jahrhunderte hindurch verpflichtet war, deren milde Grundherrschaft jedoch nicht immer widerspruchslos hingenommen wurde, wie uns Prozeßunterlagen bis zuletzt anzeigen, als das Geschlecht zudem im Mannesstamme ausstarb.

Französisches Recht, vieles an ihm war fortschrittlich, setzte sich durch. Lüttringhausen wurde eine Munizipalität bzw. Mairie mit 5.322 Einwohnern im Jahre 1807; seine stadtrechtliche Entwicklung fand im Jahr darauf den eigentlichen Beginn.

Von 1813 bis zum Wiener Kongreß im Jahre 1815 existierte das Generalgouvernement Berg der alliierten Sieger über den Korsen. Dann wurde das Land preußisch, eingegliedert in eine der anfänglich zwei rheinischen Provinzen, die 1822 zu einer Rheinprovinz vereinigt wurden.

Preußen verzeichnete einen gewaltigen Gebiets- und Bevölkerungszuwachs. Die konfessionelle Frage war somit auch eine politische. Am 27. September 1817 unterzeichnete König Friedrich Wilhelm III. in einer Cabinetsordre zu Potsdam an alle Consistorien, Synoden und Superintendenten den Unionserlaß zur Vereinigung der lutherischen und reformierten Landeskirchen der bisherigen preußischen Gebiete sowie in den neuen Provinzen zu einer evangelischen Kirche im Königreich.

Dieser Unionserlaß kam nicht unerwartet, denn schon vorher waren die Weichen gestellt worden. In Berlin entstand ein eigenes Kirchenministerium, das in einer Sektion für Kultus und Unterricht vorbereitet worden war. Eine kirchliche Verwaltungsunion war das Ziel, in der es zu beachten galt, daß die neuen Kirchenkreise innerhalb der Provinzialkirchen den ebenfalls neugeschaffenen politischen Landkreisen entsprachen. Auf königliche Anordnung kam in Lennep am 10. und 11. September jenes Jahres 1817 eine Synode zusammen, die den neuen Kirchenkreis mit dem Namen des Versammlungsortes installierte. Gewissermaßen unter einem Dach sahen sich die lutherischen und reformierten Gemeinden, die man ermunterte, nunmehr auf örtlicher Ebene die Union zu vollziehen. Diese Union schuf nun etwas, was beide Konfessionen im Lande Berg bisher nicht kannten: eine Verbindung von Thron und Altar. Der König wurde als Summus episcopus Oberhaupt dieser Kirche. Bis zum Ende der Monarchie im November 1918 sollte dies so bleiben. Bemerkenswert waren die Bemühungen um diese Unionskirche nicht nur in staats- und kirchenrechtlicher sowie organisatorischer, sondern auch in theologischer und liturgischer Hinsicht.

Lüttringhausen wurde in jenem Jahr 1817 allerdings nicht nach Lennep geladen. Es erfuhr seine synodale Aufnahme in den Kirchenkreis Elberfeld, obwohl es im Landkreis Lennep lag. Interessanterweise schlug man zur Lenneper Synode jedoch jene Gemeinden, die im Landkreis Solingen lagen. Doch in den folgenden Jahren sah man sich zu Korrekturen veranlaßt. Die Lüttringhauser wünschten die Aufnahme nach Lennep, dem die Oberbehörden in Staat und Kirche im Jahre 1828 zustimmten. Im Hinblick auf das 300. Todesjahr Adolf Clarenbachs im Jahre 1829 verwirklichte sich diese synodale Umgliederung. Der Leuchter zum Gedächtnis an Clarenbach sowie das damals geplante, bald darauf errichtete Denkmal zu seinen Ehren im Lennep-Lüttringhausener Grenzbereich, erinnern auch an diese Vorgänge. Vierzehn Jahre später, 1843, schieden die Gemeinden des Solinger Landratsbereiches aus der Lenneper Synode aus, um einen eigenen Kirchenkreis zu bilden.

Inzwischen war auch in Lüttringhausen aus dem alten Konsistorium ein Presbyterium als neuzeitliches Gemeindeleitungsorgan geworden. Als erweitertes Gremium entstand die Repräsentation.

Uns muß es noch im Zusammenhang mit dieser staatlich verordneten Kirchenvereinigung interessieren, daß es etliche Jahre zuvor schon Vereinigungsbestrebungen im Lande Berg sowie in der benachbarten Grafschaft Mark gegeben hat. Kirchliche Fortschrittsmänner, zumeist lutherische Geistliche und Lehrer mit aufklärerischen Neigungen, trugen diese Gedanken vor. Da war Diederich David Bunge zu Remscheid, dessen Sohn Johann Karl Friedrich im Jahre 1821 Pfarrer zu Lüttringhausen wurde. Wir finden Johannes Löh zu Burscheid und den zu Mülheim am Rhein wirkenden Lenneper Arztsohn Johann Wilhelm Reche. 1790 trafen sich an diesen Fragen interessierte Geistliche der beiden evangelischen Konfessionen in Hilden. Diese Gespräche wurden fortgesetzt. Im Bergisch-Lutherischen Ministerium der obersten kirchlichen Instanz synodalen Charakters, machte man um 1799/1800 den Vorschlag, sich mit der lutherischen Kirche in der Grafschaft Mark über eine Landesgrenze hinaus zu vereinigen. Pastor Friedrich Wilhelm Elbers aus Lüftringhausen referierte daraufhin als Gast auf der märkischen Synode. Alle Bemühungen und Gespräche aber wurden durch das politische Geschehen beeinträchtigt. Im August 1806 tagte eine lutherische Synode in Remscheid, dann 1808 in Lüttringhausen, zuletzt dann 1812 zu Leichlingen. Eine Zukunft ließ sich für die Kirchen erst nach der Napoleonzeit finden.

Wege in die Gegenwart

Gebietsabtrennungen zugunsten anderer und neuer Gemeinden sind im 19. Jahrhundert mehrfach vorgenommen worden. 1839 wurde Holthausen und 1863 Bökel nach lutherisch Ronsdorf umgepfarrt. Im Jahre 1875 verfügte das königliche Konsistorium die Umgemeindung etlicher anderer Höfe und Ortschaften zu der weiterhin angewachsenen lutherischen Pfarrei Ronsdorf. Eine neue kirchliche Zuständigkeit fanden Kratzkopf, Heidt, Stall, Schmittenberg, Käshammer, Echo, Hütte, Lohsiepen, Rädchen, Erbschloe, Konradswüste, Hammesberg, Schmalenhof, Scharpenacken, Schirpkotten und Schirpkotterdelle. Hinzu kam, daß Beyenburg innerhalb der Bürgermeisterei und Stadt Lüttringhausen 1863 eine evangelische Kirchengemeinde erhielt, die durch einen Schulbezirk, einen eigenen Friedhof seit 1836, endlich 1856 durch eine sogenannte „Bretterkirche“ vorbereitet worden war. 1866 weihte man dort ein neues Gotteshaus ein, dessen rechtliches Umfeld 1875 ebenfalls abgesteckt wurde. Aus der alten Lüttringhauser Gemeinde fanden Wohnplätze zu Niederdahlhausen, Ober- und Niedersondern, Windfoche, Oberhof, Mosblech, Nöllenberg, Stoffelsberg und Gangolfsberg dorthin. Im Bereich Dahlerau ergab sich eine Korrektur zugunsten der Gemeinde Remlingrade.

Ende des Jahrhunderts entstand die Kirchengemeinde Dahlerau. Zu ihr fanden 1894 Hardtbach, 1898 Ober- und Niederdahl, Auf‘m Hagen und 1918 die Hardtbacher Höhe. Auch im Bereich Hohenhagen ergaben sich Änderungen. Dieses Gebiet wurde nach Remscheid umgepfarrt.

Bevölkerungszunahme und Strukturwandlungen waren Ursachen zu den Veränderungen. 1929 endete Lüttringhausens kommunale Selbständigkeit. Remscheid und das neugebildete Wuppertal übernahmen sein Gebiet. Die Evangelische Kirchengemeinde sah sich nun auch jenseits einer Stadtkreisgrenze zuständig, was an älteste Tage noch erinnern mag. Eine Folge jener kommunalen Veränderung aber war es auch, daß 1932 die Gemeinde Beyenburg aus dem Kirchenkreis Lennep ausschied.

Nach dem 2. Weltkrieg gesellten sich zur alten Pfarrkirche im Dorf andere Gottesdienststätten. Zu Goldenberg weihte man 1955 eine Kirche ein. 1960 begann man mit den Gottesdiensten im CVJM-Heim Wallbrecken. In Linde entstand 1953 ein Gemeindehaus. Im bevölkerungsreichen Siedlungsbereich Klausen entstand 1965/66 ein Gotteshaus. Eine für die seelsorgerliche Arbeit längst notwendig gewordene dritte Pfarrstelle wurde 1947 genehmigt. Heute besitzt die Gemeinde fünf Pfarrstellen bei einer Größe von 14.300 Seelen.

Lüttringhausens innere Gemeindestruktur erfuhr in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Betonungen. Pietistische Strömungen, zumeist aus dem Wuppertal und dem nahen Ronsdorf vorgetragen, wurden unverkennbar. Ohne an Herrnhuter Reisemissionare zu denken, die bereits 1762 bei einer Witwe Hasenclever zu Clarenbach und 1764 zu Grund bei einem Mann namens Platte eingekehrt waren,kennzeichnete eine neue Frömmigkeit die Alteingesessenen wie die Zuwanderer. 1800 veröffentlichte ein Johann Friedrich Wilhelm Frielingsdorf zu Grund eine Erweckungsschrift ,,Von der Glückseligkeit des Menschen und wodurch sie befördert wird“. Auch die spätere Brüderbewegung sah Anhänger in der Gemeinde, vor allem, als Wilhelm Alberts aus Wiehl hier missioniert hatte. Damals, um 1850/52, kam es jedoch auch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen Kreisen und der Kirchengemeinde sowie der Synode. Die Brüdervereins-Bewegung lehnte die gewünschte Unterordnung unter Presbyterium und Geistlichkeit ab.

Dieser Neu-Pietismus brachte calvinistische Strenge mit. Das Gotteshaus-Innere erfuhr durch diese Haltung sowie zeitbedingte Kunstauffassungen eine Änderung. Im Jahre 1789 hatte ein Unwetter schwere Schäden auch im Kircheninneren hervorgerufen. Man mußte renovieren. Doch erst nach 1830 und 1860 ging man hin, die Farben des Kirchenraumes zu verändern. Der Clarenbach-Leuchter wurde schließlich eingeschwärzt, die Apostelbilder so übermalt, daß später niemand mehr von ihnen Kenntnis besaß. Dergleichen geschah bis ins 20. Jahrhundert hinein, so daß die Restaurierung in den Jahren 1960 bis 1964 etliche Farbschichten zugunsten einer Urfarbe entfernen mußte. Dabei entdeckte man die Apostelgestalten.

Ein Blitzschlag mit starken Brandschäden führte 1861 zur Wiederherstellung des Turmes, der damals durch Aufstockung auf seine heutige Höhe gebracht wurde. –

Vereine in der Gemeinde oder solche, die sich ihr zuwandten, entstanden als zeittypische Äußerungen des gesellschaftlichen Lebens. Jünglingsverein und Christlicher Verein Junger Männer, Chöre und Sondergruppen bildeten sich.

Lüttringhausen erfuhr mit der durch den späteren rheinischen Präses Georg Wilhelm Hafner angeregten und weithin auch organisierten Errichtung der ,,Stiftung Tannenhof“ als evangelischer Heil- und Pflegeanstalt im Jahre 1896 einen neuen Bekanntheitsgrad. Ein Brüderhaus und ein Diakonissen-Mutterhaus entstanden. Im Jahre 1912 wurde der Tannenhof eine eigene Anstalts-Parochie.

Während des „Dritten Reiches“ hat die Gemeinde den Gegensatz von Bekenntniskirche und Deutschen Christen erlebt. Es gab eine nicht zu übersehende Gruppe dieser Deutschen Christen, die jedoch immer mehr in den Hintergrund trat. Beide Pfarrer der Gemeinde blieben bekenntnistreu und hielten dadurch eine Kerngemeinde. So gut wie ungeklärt blieb ein Vorfall am Kriegsende, als in der Nacht vom 18. zum 19. April 1945 das Pfarrhaus des Superintendenten Bellwied durch Brand-stiftung in Flammen aufging.

Inzwischen vergingen die Jahrzehnte nach dem unseligen Krieg. Mannigfach erweiterte die Gemeinde ihr Arbeitsfeld in der Öffentlichkeit. Wenn die Glocken des alten Gotteshauses rufen, kommt aber der kräftigste Schlagton von einem bronzenen Gußwerk des Johann Heinrich Dinckelmaeyer aus Köln, das dieser im Jahre 1736 zusammen mit einer kleinen Glocke, die heute den Uhrschlag wiedergibt, im Schatten des Kirchturmes schuf.